In Deutschland ist es gerade ungewöhnlich heiß, fast wie hier. Nur, dass es hier normal ist. Und hier kann man sich wenigstens jederzeit im Meer abkühlen. Wenn man an dem vom Divecenter nächstgelegenen Privatstrand ins Wasser geht (auch einer unserer häufigsten Tauchspots: „Bannerfish Bay“), kommt man nach links parallel zum Ufer im flachen Wasser über einen schönen Abschnitt mit vielen Korallen entlang. Dort hatten wir auch im Rahmen des Korallen-Identifizierens geübt. Als ich einmal mit meiner Zimmergenossin Stephanie dort schnorcheln war, fielen uns in einiger Entfernung zwei weitere Schnorchler auf, ein Mann und eine Frau. Der Mann schien ihr verschiedene Dinge am Grund zu zeigen, dann tauchte er ein Stück runter, hob mehrere Dinge auf, zeigte sie ihr und warf sie dann achtlos wieder weg. Stephanie und ich sahen uns nur verwundert an und besprachen uns dann kurz: Hatte der Mann gerade tatsächlich Korallen hochgeholt und wieder runtergeschmissen? Wir schwammen zu der Stelle hin, wo er sie fallen gelassen hatte und sahen, dass dort tatsächlich nur abgebrochene Korallen, keine Steine oder so lagen. Wir sahen uns um und begannen den beiden zu folgen. Jetzt hatte der Mann einen langen Stock unter Wasser gefunden und zeigte damit auf Korallen, stieß sie an, fuchtelte in den Anemonen rum und warf den Stock dann auch weg. Stephanie und ich waren inzwischen schon so wütend und fassungslos über diese Rücksichtslosigkeit und mutwillige Zerstörung, dass wir begannen, auf die beiden zu zu schwimmen. Als wir noch ein paar Meter entfernt waren, stand der Mann gerade im Wasser mit einem Fuß auf einer Koralle, mit dem anderen fuchtelte er in einer Anemone rum, um die panischen Fische rauszulocken. Stephanie hielt sich etwas schüchtern zurück, aber ich hatte beschlossen, dass die Zeit des Zurückhaltens nun vorbei war. Ich fragte ihn, was er dort tue… „Nothing, nothing.“ „It didn’t look like nothing. You’re not supposed to touch the corals or stand on them or pick them up, that kills them.” “I didn’t, I swear. I know all that, I’m an advanced diver.” „Ok, but we saw you over there picking up several corals and throwing them back on the ground.“ “I didn’t pick up anything.” “Yes you did, we saw the corals lying on the ground a few metres away.” “I just picked up one piece.”… Aha, auf einmal gesteht er. Advanced diver Arschloch. Wollte nur seine 20 Jahre jüngere Freundin mit seinem ganzen advanced knowledge beeindrucken. Ich war danach immer noch sauer, aber irgendwie auch unsicher, weil ich habe ja nicht das Recht, hier irgendwelche Touris zu belehren. Aber als wir kurz danach den anderen die ganze Story erzählten, sagten alle, auch Nina und Christina, dass ich genau das Richtige getan hätte. „Yes, go all German on them! And if they’re angry now and don’t want to come back, even better for the reefs. We don’t need tourists like that destroying the reason why there is tourism here.” sagte Nina zu mir. Danach haben Stephanie und ich immer, wenn wir zusammen schnorcheln waren, gesagt: „We’re going on reef patrol.“
Wie bereits im letzten Eintrag erwähnt, haben wir auch einen Nachttauchgang gemacht, es war der erste für mich. Eigentlich ist nicht viel anders, man hat die ganze Zeit eine Taschenlampe in der rechten Hand, dadurch ändern sich die Handzeichen etwas, und es ist halt dunkel. Das heißt z.B., dass viele Korallen ihre Tentakeln ausfahren und andere Fische unterwegs sind, als tagsüber. Meine Lampe gab noch bevor wir ins Wasser gingen den Geist auf und auch die Ersatzlampe war kaputt. Also bin ich ohne eigenes Licht getaucht. Fand ich nicht schlimm, weil ich mich im Dunkeln nicht unwohl fühle und die anderen hatten ja auch noch ihre Lampen. Es war eine beeindruckende Erfahrung, man verliert viel leichter die Orientierung und das Meer erscheint irgendwie noch viel endloser, weil man halt nur sehr wenig davon sieht. Es ist auf eine gute Art und Weise auf jeden Fall auch etwas gruselig. Die Lionfish werden vom Licht angezogen wie Motten und kommen einem viel näher, als man sich das wünscht (sie haben giftige Stacheln), tauchen auf einmal aus dem Nichts neben dem Gesicht auf und schweben wie ein Geist nebenher. Wir haben einen Baby-Oktopus gesehen, eine große Schnecke, die schlafende Schildkröte, Rochen und vor allem eine Vielzahl von Seesternen, die ich hier tagsüber noch nie gesehen hatte. Sinn und Zweck dieses Nachttauchgangs war uns darauf vorzubereiten, wie es ist, im Dunkeln zu tauchen und ruhig und entspannt zu bleiben, auch wenn man fast nichts sieht. Denn danach hatten wir einen „fluorescent night dive“ auf dem Plan. Dabei hat man statt einer normalen Taschenlampe eine Blaulichtlampe und eine gelb getönte Brille über der Taucherbrille. Korallen und auch viele andere Lebewesen besitzen fluoreszierende Proteine, die wir mit unseren langweiligen Menschenaugen normalerweise nicht wahrnehmen können. Mit entsprechender Ausrüstung sieht man aber so einiges. In neon-grün oder rot leuchten auf einmal Korallen, Würmer und auch einige Fische. Um ein Foto zu machen muss ich die gelb getönte Brille erst einmal abnehmen und dann vor die Kameralinse halten. Und dann möglichst lange still halten, wegen des geringen Lichteinfalls. Es ist eine Kunst für sich, wenn man nicht das richtige Equipment für solche Fotos hat. Eins ist halbwegs wenig verwackelt. Ansonsten war auch dieser Tauchgang etwas ganz besonderes. Wir haben abgesehen von den ganzen schönen Neonfarben eine riesig gigantische Muschel/Schnecke gesehen. Das Gehäuse war sicher 30-40 cm und das Tier hat sich langsam über den Grund bewegt. Wir haben nach dem Tauchgang weder mithilfe eines Buchs noch durch Suchen im Internet herausgefunden, was es war. Aber es war mega cool. Und im Hellen hat keiner von uns es je wieder gesehen. Das Meer ist ein mysteriöser Ort und birgt viele Geheimnisse. Wie poetisch.
Mit den Masterstudenten bin ich wirklich super ausgekommen. Sie machen das Projekt im Rahmen eines Pflichtpraktikums und mussten einiges an Präsentationen und Berichten anfertigen. Dabei habe ich ihnen öfters neugierig über die Schultern geguckt und mich auch bereit erklärt, ihre ganzen Sachen Korrektur zu lesen. Nicht, weil mir das so viel Spaß macht, sondern weil mich der Inhalt interessiert hat. Am 12.06. hatten die fünf dann auch ihren Abschlussabend bei RSEC. Es gab ein leckeres beduinisches Buffet und dann hielt jeder einen Vortrag zu einem speziellen Thema, mit dem er/sie sich in den letzten Monaten besonders auseinander gesetzt hatte. Es war wirklich super und meine Motivation Meeresbiologin zu werden hat sich auf jeden Fall noch etwas weiter gesteigert. Nach diesem schönen Abend reisten die Masterstudenten einer nach dem anderen ab. Mit Eleonora und Stephanie und ein paar Ägyptern verbrachte ich allerdings noch einen tollen Abend an einem abgelegenen Strand, wo man biolumineszierende Organismen gut beobachten kann, weil die Lichter der Stadt nicht stören. Wir sind im Stockdunkeln zu dem Strand gefahren, ausgestattet mit Schnorcheln und Taucherbrillen und sind im Wasser herumgeschwommen. Bei jeder Bewegung leuchtet es irgendwo auf. Das gleiche Phänomen hatte ich in Kenia schon einmal beobachtet, dort war es noch viel krasser, da ging ein richtiges Leuchten vom Wasser aus, sobald man hineingelaufen war. Aber hier war’s auch schön. Wir saßen dann noch lange am Strand und beobachteten den schönen Sternenhimmel und dachten über das Universum und die Menschen und alles Mögliche und Unmögliche nach. Ich muss zugeben, dass auch etwas ägyptisches Gras im Spiel war. Muss man ja auch mal probiert haben.
An einem anderen Tag hatte ich mit Yens nach dem Tauchgang auch mal etwas Komisches geraucht. Wir saßen mitten im Nirgendwo unter einem kleinen Holzverschlag im Schatten und warteten mit den zwei Fahrern auf die andere Tauchgruppe. Da fiel uns die komische Zigarette des einen Mannes auf und Yens fragte, was es sei. Irgendwie antwortete er nur ganz vage, es sei eine „bedouin cigarette“. Als Yens fragte, ob er mal ziehen könne, drehte der Fahrer ihm eine eigene, die wir uns dann teilten. Es war definitiv kein Tabak, aber auch kein Gras, sah aus wie klein geschredderte hellgrüne Blätter und schmeckte eigentlich ganz gut. Wir wissen immer noch nicht, was es war, nur, dass Yens danach tiefenentspannt war und ich viel gekichert habe und die anderen von uns genervt waren. An diesem Tag hatten wir übrigens einen weiteren coolen Oktopus gesehen, während Nina zu Beginn der Gutachten immer die „transect line“ auslegt (an der entlang wir dann Korallen untersuchen, Fische zählen usw), müssen wir immer abwarten. Und da die erste Zweiergruppe immer die „Fischgruppe“ war, die mindestens 10 Minuten warten musste, bis alle Fische sich wieder „normal“ verhalten, nachdem Nina vorbeigeschwommen war, mussten die anderen noch etwas länger am Startpunkt verharren. Während des Wartens kann man sich ganz entspannt des Unterwasserlebens erfreuen. Und besonders erfreut war ich, als ich einen relativ großen Oktopus direkt neben mir sitzen sah. Nachdem Yens endlich mein Gewinke bemerkt hatte, verfolgten wir den Oktopus gespannt, wie er von Fels zu Fels schwamm/glitt/kroch/schwebte und sich dabei so schnell jeder neuen Umgebung anpasste, das wir ihn nicht gesehen hätten, wenn er sich nicht fortlaufend bewegt hätte. Wieder aus dem Wasser konnten wir uns vor lauter Oktopusbegeisterung kaum zurückhalten. Es ist ein Segen und ein Fluch zugleich, dass man sich unter Wasser immer eine Stunde lang nicht unterhalten kann, außer durch Handzeichen natürlich. Aber kaum konnten wir wieder sprechen, steigerten wir uns beide in ein ausführliches Gespräch über Oktopusse rein, das damit endete, dass Yens mir erzählte, dass es, vor allem in Asien, Pläne gebe, riesige Oktopus-„Aquakulturen“ zu etablieren. Als ob die Menschheit nicht schon genug dumme Dinge getan hätte, um die Meere und ihre Bewohner zu zerstören. Ein aktueller Artikel dazu hier: https://www.theguardian.com/environment/2019/may/12/octopus-farming-unethical-and-threat-to-food-chain
Die Begeisterung für die Unterwasserwelt im Roten Meer ließ auch während meines gesamten Aufenthalts kein bisschen nach. Im Gegenteil, je mehr man über die Tiere und Pflanzen wusste, desto interessanter wurde es. Irgendwie wurde es auch normal, dass wir uns als angehende Biologen in ewigen Diskussionen verfingen, welche denn nun aus welchen Gründen auch immer unsere Lieblingskorallen seien und welcher Fisch der beste war usw. Ich habe mir da auch ausgiebig Gedanken drüber gemacht. Lieblingskorallen: Platz 3: Feather coral, Platz 2: Leather coral, Platz 1: Pocillopora, auch raspberry coral gennant, sieht aus wie eine Himbeere, deshalb natürlich auf meinem persönlichen Platz eins, weil Himbeeren toll sind. Bei den Fischen sieht es folgendermaßen aus: Platz 3: Porcupinefish, Platz 2: Crescent-tail bigeye (den ich lieber „Vali-Fisch“ nenne, weil er genauso aussieht, wie wenn meine Schwester Valerie schmollt), Platz 1: Red Sea Walkman (siehe Fotos hier und auf meinem Handy auch tolle Videos). Rochen, Wirbellose und Schildkröten lasse ich jetzt mal außen vor, sonst nehmen diese Listen kein Ende.
Nachdem wir nur noch zu dritt im Projekt übrig waren, beendeten wir die letzten Surveys zu Korallenschäden. Beim Allerletzten sahen wir sogar eine große Schildkröte, die direkt an unserer Leine hängen blieb und befreit werden musste und einen Oktopus, der sich ein paar Zentimeter neben der transect line zum Schlafen niedergelassen hatte.
Nach dem Ende des Ramadan wurde die Stadt auch etwas lebendiger und wir waren morgens um 8 nicht mehr die ersten auf der Straße. Viele Ägypter kamen vom Urlaub bei ihren Familien in Kairo oder Alexandria zurück und auch im Divecenter waren wieder alle Angestellten vollzählig. Die Fahrten zu den Tauchspots wurden noch abenteuerlicher, weil mehr Autos tagsüber unterwegs waren. Was ich bisher über die ägyptische Fahrweise vergessen habe zu erwähnen: Im Kreisverkehr kann man in beide Richtungen fahren, Hauptsache man hupt dabei laut genug. Generell ist Rechtsverkehr eher ein nett gemeinter Vorschlag, keine strikte Regel. Wer am lautesten hupt hat Recht, daran zumindest halten sich alle.
Nachdem wir mit dem Projekt fertig waren, hatte ich noch eine Woche Zeit. Die nutzte ich aus um einen „Nitrox“-Kurs zu belegen, das bedeutet, man hat in seiner Druckluftflasche keine komprimierte Luft mit 21% Sauerstoff, sondern üblicherweise 32 oder 36% Sauerstoff. Das bedeutet vor allem weniger Stickstoff, weniger Risiko für eine Dekompressionskrankheit, längere Tauchzeiten usw. Der Kurs war allerdings nur praktisch und relativ unspektakulär. Am Tag danach begann ich meinen Rettungstauchkurs. Der war um einiges spannender. Wir mussten ein umfangreiches Buch lesen, ein stundenlanges Video gucken, sprachen die ganze Theorie durch und vor allem führten wir unzählige praktische Übungen im Wasser durch. Wie geht man mit einem bewusstlosen Taucher unter Wasser um, wie an der Oberfläche, wie kriegt man ihn am besten an Land, wie beruhigt man jemanden, der eine Panikattacke hat… Es war ein super Kurs, drei spannende und anstrengende Tage mit schriftlichem Test am Schluss. Und dann waren meine letzten drei Tage schon angebrochen, zwei letzte Tauchgänge, einer davon ganz in der Nähe zum kleinen Unterwassermuseum von Dahab, inklusive Elefant und Mumie. Danach verbrachte ich immer noch sehr viel Zeit im Wasser, aber nur auf schnorchelnde Weise. Auch Freitauchen übte ich etwas weiter, es macht fast genauso viel Spaß, wie Gerätetauchen. Vor allem toll daran ist, dass man wenig vorbereiten oder planen muss und kaum Equipment braucht. Dabei hatte ich auch am vorletzten Tag eine unglaubliche Erfahrung mit einer Schildkröte, die eine halbe Stunde lang ganz nah neben mir her schwamm und mich neugierig beäugte.
Es war einfach unglaublich hier, ich habe viel gelernt, mehr als in einem ganzen Semester Uni. Ich bin meeresbegeisterter denn je. Ich bin durch die ganzen Gutachten viel sicherer beim Tauchen geworden und habe endlich den Rescue Diver gemacht. Ich habe tolle Leute kennengelernt und verrückte Sachen erlebt. Mehr hätte ich mir im Vorhinein echt nicht wünschen können. Ein voller Erfolg. Und auch wenn ich das Meer nach einem halben Tag schon sehr vermissen werde, freue ich mich nun auf meine Familie und meine Freunde in Berlin und danach auf den kühlen Sommer zu Hause in Schottland.